Interview mit Dr. Miriam Wiese-Posselt zur BEAR-Studie
„Wir sehen klinische Zeichen“
Interview mit Dr. Miriam Wiese-Posselt von der Charité Universitätsmedizin Berlin zur Berlin-Brandenburg Air (BEAR)-Studie
Wie gefährdet sind unsere Kinder durch Ultrafeinstaub? Diese Frage stellt sich die Berlin-Brandenburg Air (BEAR) Studie, die die Heinrich-Heine Universität Düsseldorf, die Charité Universitätsmedizin Berlin und das Helmholtz-Zentrum München über mindestens drei Jahre gemeinsam durchführen.
Im Rahmen dieser Studie wird an verschiedenen Standorten in Berlin und Brandenburg die Luftschadstoff-Belastung insbesondere von sog. ultrafeinen Partikeln (Ultrafeinstaub) gemessen und die Luftqualität für den Raum Berlin-Brandenburg berechnet. Parallel dazu erhebt die Studie verschiedene Gesundheitsparameter und untersucht bei Kindern der 2., 3. und 4. Klassen mindestens dreimal während der Studienphase die Lungen- und Herz-Kreislauf-Gesundheit sowie die Aufmerksamkeits- und Gedächtnisleistung.
Jetzt startet wieder eine neue Untersuchungsrunde an Kindern in Berlin und Brandenburg. Eine der Projektleiterinnen der BEAR-Studie, Frau Dr. Miriam Wiese-Posselt von der Charité Universitätsmedizin Berlin, berichtet über den Stand.
Was genau untersucht die BEAR-Studie?
Die Studie untersucht im Raum von Berlin und Brandenburg Auswirkungen von Luftschadstoffen, insbesondere von ultrafeinen Partikeln, auf die Gesundheit und auf die kognitive Entwicklung von Grundschulkindern.
Wie ist die Studie konzipiert?
Wir haben die Studie Januar 2020 begonnen und untersuchen weiterhin die ca. 200 bis 300 Kinder aus dem ehemaligen Einzugsbereich des alten Flughafens in Tegel. Die Kinder dort sind nach dem Umzug des Flughafens nicht mehr von ultrafeinen Partikeln aus dem Flugverkehr belastet. Eine weitere Kontrollgruppe haben wir in anderen Regionen von Berlin, in denen keine Einflüsse durch den Flugverkehr bestehen.
Schließlich untersuchen wir Kinder, die im Umfeld des BER leben, wo initial nur ein geringer Flugverkehr bestand. Seit der Eröffnung des BER und mit der Erholung des Flugverkehrs nach der Coronakrise ist hier eine deutliche Zunahme des Flugverkehrs messbar. Insgesamt haben wir gut 1.000 Kinder in die BEAR-Studie einschließen können.
Entsteht Ultrafeinstaub nur durch Flugverkehr?
Die ultrafeinen Partikel, also Ultrafeinstaub, entstehen bei allen Verbrennungsprozessen, also nicht nur im Flugverkehr, sondern auch im Straßenverkehr oder in der Industrie. In der Region des BERs sind die Kinder nicht nur durch den Flugverkehr belastet, sondern auch durch die Zunahme des Straßenverkehrs. Denn der Zuliefererverkehr und der Transportverkehr zum Flughafen hin haben deutlich zugenommen.
Ultrafein – was bedeutet das genau?
Stellen Sie sich ein Staubkorn als Fels von zwei oder drei Metern Durchmesser vor, dann wäre ein Feinstaubkörnchen etwa so groß wie ein Fußball. Und ein ultrafeiner Partikel wäre im Vergleich zu einem Staubkorn so groß wie ein Stecknadelkopf. Ultrafeinstaub wird mit einem Durchmesser von kleiner als 100 Nanometern definiert. Flugzeuge stoßen ultrafeine Partikel aus, die ungefähr 20 bis 40 Nanometer im Durchmesser sind. Diese kleinsten Partikel besitzen die Eigenschaft, nach dem Einatmen nicht nur in der Lunge zu verbleiben und sich dort abzulagern wie beispielsweise der Ruß des Zigarettenrauchs. Ultrafeine Partikel gelangen durch die Lungenbläschenmembran hindurch in den Blutkreislauf und verteilen sich im ganzen Körper. Deshalb sind ultrafeine Partikel für den menschlichen Organismus als toxischer, d.h. giftiger, anzusehen als größere Feinstaubpartikel.
Kann man pauschal sagen: Je höher der Ultrafeinstaubanteil in der Luft, desto ungesünder die Menschen?
Das genau wollen wir untersuchen. Es gibt laborgestützte Untersuchungen, bei denen Menschen ultrafeinen Partikeln ausgesetzt und kurzzeitige Effekte auf deren Herzkreislaufgesundheit gemessen wurden. Wenn man, sagen wir, eine Viertelstunde lang ultrafeine Partikel in hoher Konzentration einatmet, geht zum Beispiel der Puls hoch und der Blutdruck steigt.
Was wir jetzt in der BEAR-Studie testen möchten, ist: Welche langfristigen Effekte zeigen sich, wenn die Kinder über längere Zeit höheren Konzentrationen an ultrafeinen Partikeln exponiert sind? Die BEAR-Studie ist noch nicht abgeschlossen, deshalb können wir auch noch keinen Vergleich der erhobenen Gesundheitsparameter in den verschiedenen Studienstandorten ziehen: Weisen Kinder, die über die letzten Jahre im Bereich des BERs lebten, beispielsweise ein geringeres Lungenwachstum auf als Kinder, die in den Kontrollregionen wohnen?
Was wir bei den Gesundheitsuntersuchungen der Kinder sehen, sind geringe Unterschiede in klinischen Parametern oder in der Aufmerksamkeits- und Gedächtnisleistung. Wir können feine klinische Zeichen als Effekte der Exposition gegenüber ultrafeine Partikel messen; diese klinischen Zeichen können aber nicht als krankhafte Veränderung bezeichnet werden. In der BEAR-Studie sammeln wir aktuell die Daten zu Gesundheitsparametern und zur kognitiven Leistungsfähigkeit sowie zur Luftqualität. Dafür messen wir immer an den Schulen und Horten, an denen wir gerade Kinder untersuchen, die Konzentration an ultrafeinen Partikeln. In den nun anstehenden Analysen und Auswertungen wollen wir feststellen, ob und wenn ja, in welchem Ausmaß die Exposition gegenüber ultrafeinen Partikeln einen negativen Einfluss auf die Gesundheit und Aufmerksamkeits- und Gedächtnisleistung hat.
Jetzt sind also noch keine organischen Schäden erkennbar, aber Effekte?
Genau, die Kinder haben noch keine klassischen Krankheiten. Aber wir können feine Unterschiede feststellen. Deshalb untersuchen wir Kinder und keine Erwachsenen, die aufgrund ihres Alters, ihrer Umgebung und ihres Gesundheitsverhaltens einfach schon häufiger Grundkrankheiten aufweisen. Wir wollen herausfinden, ob bei exponierten Kindern zum Beispiel das Lungenwachstum verlangsamt ist, ob wir bei ihnen häufiger Zeichen von Entzündungsreaktionen in der Lunge feststellen oder ob der Atemwegswiderstand erhöht ist.
Was ist das Ziel der Studie?
Wenn wir jetzt feststellen, dass die Kinder im Umfeld des BER stärker belastet scheinen als Kinder in den Kontrollregionen, können wir versuchen, präventiv Maßnahmen zu ergreifen und die Kinder schützen. Und damit natürlich nicht nur die Kinder, sondern alle Menschen.
Aber wie? Man wird ja kaum den Flughafen stilllegen können.
Der Flughafen gilt als große Quelle für ultrafeine Partikel: Nicht nur durch den Flugverkehr, sondern auch durch die Bewegungen auf dem Flugfeld. Wenn diese Bewegungen – der Flugzeuge aber auch der Autos, Busse, Lastwagen – auf dem Rollfeld elektrifiziert werden würden, also wenn man dafür sorgen würde, dass die Flugzeuge nicht mit ihrem Kerosin-Antrieb das Flugfeld durchqueren oder die Wege von und zur Start- und Landebahn zurücklegen, würde bereits eine deutliche Reduktion von ultrafeinen Partikeln erreicht werden können. Es gibt schon technische Ansätze in diese Richtung. Aber um Änderungen zu erreichen, benötigt man Daten und Ergebnisse, die die Probleme verdeutlichen.
Was genau könnte man mit mehr Daten erreichen?
Für ultrafeine Partikel liegen keine Grenzwerte vor, anders als für alle anderen Luftschadstoffe: Für Stickoxide, Ozon oder Feinstaub existieren von der WHO und auch von der EU vorgegebene Grenzwerte. Dabei handelt es sich z.B. um Tageswerte, die nicht überschritten werden dürfen. Werden sie dennoch überschritten, wird von der kommunalen Verwaltung gefordert, entsprechend zu reagieren und zum Beispiel an einer viel befahrenen Straße eine Tempo-30-Zonen einzurichten. Solche nationalen oder internationalen Grenzwerte gibt es für ultrafeine Partikel nicht. Der Grund dafür liegt in der zu dünnen Datenlage. Es ist einfach noch nicht bekannt, ab welcher Konzentration an ultrafeinen Partikeln in der Luft davon auszugehen ist, dass der Mensch zu Schaden kommt.
Das zeigt nochmals die Wichtigkeit der BEAR-Studie. Sie ist eine der ersten Studien, die auf Bevölkerungsniveau untersucht, was tatsächlich mit den Menschen passiert. Wir setzen uns nicht ins Labor und exponieren eine Person wissentlich mit ultrafeinen Partikeln in definiert hohen Konzentrationen, sondern wir beobachten in der BEAR-Studie, was in der Realität passiert, was passiert vor Ort in der Umgebung, wo die Kinder leben und zur Schule gehen, und was passiert mit den Kindern? Dieses Beobachten der tatsächlichen Effekte ist ganz wichtig, um zu verstehen, ab welchem Wert, ab welcher Konzentration von ultrafeinen Partikeln in der Luft, negative Effekte zu erwarten sind.
Haben Sie bei den Kommunen offene Türen eingerannt oder war es schwierig, alle von der Bedeutung dieser Studie zu überzeugen?
Alle waren davon überzeugt, dass die Studie wichtig ist. Wir haben initial nur in Berlin mit der Studie gestartet, weil wir insbesondere die Kinder im Umfeld des Flughafens Tegel noch vor dem Umzug des Flugverkehrs untersuchen wollten. Zudem wollten wir Daten von Kindern aus dem südlichen Berlin mit Nähe zum BER erheben. Wir hatten vom Berliner Senat und der Senatsverwaltung schnell Unterstützung erfahren, auch von den Bezirken Reinickendorf und Treptow-Köpenick. Wir können die Untersuchungen der Kinder in den Schulen durchführen. Das bedeutet, wir messen hier die Aufmerksamkeits- und Gedächtnisleistung der Kinder zu einer Tageszeit, wenn deren kognitive Leistungsbereitschaft möglichst hoch sein sollte.
Seitdem wir die Studie in Brandenburg ausgeweitet haben, unterstützen uns die Anrainergemeinden des BER sehr. Einerseits logistisch, d.h. wir können dort die Kinder in den Horten untersuchen, andererseits auch finanziell.
Die Ministerien in Brandenburg verhielten sich allerdings unterschiedlich. Das Umweltministerium und das Gesundheitsministerium von Brandenburg unterstützen uns ebenfalls sehr. Das Umweltministerium und das Landesamt für Umwelt Brandenburg haben einen existierenden Container zur Messung von Luftschadstoffen in Blankenfelde-Mahlow zusätzlich mit einem Ultrafeinstaubmessgerät ausgestattet, und uns werden die Messdaten für die BEAR-Studie bereit gestellt. Auch das Gesundheitsministerium erkennt die Wichtigkeit der BEAR-Studie an und unterstützt uns mit finanziellen Mitteln.
Das Brandenburger Bildungsministerium genehmigte uns leider nicht, die Untersuchungen der Kinder wie in Berlin in den Schulen durchzuführen. Deswegen müssen wir in Brandenburg die Nachmittagsstunden in den Horten nutzen, um die Gesundheitsuntersuchungen wie die Testung der Lungenfunktion aber auch die der Aufmerksamkeits- und Gedächtnisleistung zu erheben. Das ist natürlich nicht die Tageszeit, zu der die Kinder besonders in ihrer Aufmerksamkeit und Gedächtnisleistung gefordert werden. Die Untersuchungsbedingungen sind in den Nachmittagsstunden ein bisschen anders als die Zeit am Vormittag. Das müssen wir natürlich bei der Auswertung der erhobenen Daten berücksichtigen.
Gab es eine Begründung?
Die BEAR-Studie sei keine pädagogische Studie. Wir hätten keine pädagogischen Fragestellungen. Nach unserer Auffassung ist eine gesunde Umgebung förderlich für ein gutes und gesundes Lernen und ultrafeine Partikel scheinen einen negativen Einfluss auf die Aufmerksamkeit und auf das Arbeitsgedächtnis der Kinder zu haben. Das Ministerium für Bildung interpretierte die BEAR-Studie jedoch als medizinische Studie und die Landesverordnung ist so formuliert, dass das Ministerium der Durchführung einer wissenschaftlichen Studie zustimmen kann, aber nicht zustimmen muss.
Wir haben zuletzt eine Teilgenehmigung erhalten, die besagt, dass wir während der Schulzeit einen Fragebogen zur Lebensqualität abfragen, aber eben nicht die eigentlichen Untersuchungen durchführen dürfen wie Lungenfunktionstest, Blutdruckmessung oder neuro-kognitive Testung. Den Fragebogen zur Lebensqualität auszufüllen, dauert etwa zehn Minuten, das verbinden wir sonst mit den anderen Testungen. Ihn aus unserer Messreihe herauszulösen, ergibt für uns keinen Sinn und bedeutet für die Kinder, dass wir sie mehrmals zu uns bitten müssten. Deshalb bleiben wir weiterhin dabei, dass wir alle Untersuchungen und Testungen in Brandenburg in den Horten durchführen.
Ist das nicht ärgerlich?
Wir sind Wissenschaftler. Mit politischen Querelen und Unstimmigkeiten in der Landesregierung wollen wir uns nicht beschäftigen. Wir wollen diese Studie durchführen, eben so, wie sie uns genehmigt wurde. Wir sind sehr froh über die große Unterstützung der Gemeinden in Brandenburg, die uns die Möglichkeit geben, in den Horten diese wichtige Studie auch in Brandenburg durchführen können.